Virtual desire
USA 1995
Regie: Jim Wynorski
Mike Meyer, Ross Hagen, Julie Strain, Gail Harris, Shanna McCullough, Tammy Parks, Catherine Weber, Lorissa McComas, Taylor St. Clair, Peggy Trentini, Hoke Howell, Annette Burger
OFDB
Irgendwann muss man ja mal anfangen. Im meinem fortgeschrittenen Alter, und nach ein paar tausend gesehenen Filmen, war dies mein erster Jim Wynorski. Ja ja, so etwas soll es geben! Genauso wie es Menschen gibt die noch nie ein Buch gelesen haben. Oder noch nie Sex hatten. Ich bin also heute quasi entjungfert worden. Und, hat es Spaß gemacht? Ja, definitiv! Werde ich es wieder tun? Ja, unbedingt! Man sagt, ja, dass Filme von Wynorski so schrottig sein sollen. Trash, wie man so munkelt. Es soll um schmutzige Dinge gehen. Um Sex, und der soll auch noch ganz furchtbar schlecht und billig sein. Alle Frauen mit künstlichen Brüsten, und keine Handlung und kein cineastischer Anspruch, keine Spannung, kein Witz, und einfach nur billigmiesundüberhauptganzfurchtbar … Es heißt, dass Wynorski einem Antonioni nicht das Wasser reichen kann. Stimmt das?
Nun ja, ein wenig schon. In VIRTUAL DESIRE geht es um Sex, und das nicht zu knapp. Fast alle Darstellerinnen haben früher oder später Karriere in der Pornobranche gemacht, ein paar Mal habe ich auch tatsächlich gepixelte Ausschnitte gesehen, und die Frauen haben durch die Bank ihre Klamotten eigentlich nur an, damit sie sie möglichst schnell ausziehen können. Und dabei hätte das doch eigentlich ein Krimi sein sollen! Die Frau des Ex-Baseballstars Brad wurde ermordet, und der Inspektor hat nur einen Verdächtigen: Brad. Es zeigt sich, dass Brad seit einiger Zeit in einem Online-Fantasy-Kreis aktiv war, wohl der 1995er-Vorläufer eines Partnerschaftsportals - Es geht darum, dass sich extrem gutaussehende Männer und extrem gutgebaute Frauen treffen und ihre sexuellen Fantasien erfüllen. Halt voll der Realismus, ey. Brad war da wie gesagt recht aktiv, was den Kreis der Verdächtigen schlagartig ausweitet auf, nach Brads Aussage, etwa eine halbe Million Kontakte im Internet …
Und um genau dieses aktiv sein geht es in VIRTUAL DESIRE. Es geht nicht darum, dass hier ein Krimi inszeniert wird, dessen Spannungskurve der langen Geraden von Monza nicht unähnlich ist. Es geht nicht darum, dass der Inspektor den alten Parka von Schimanski aufträgt, Zigarren raucht, und sich als großer Columbo-Fan entpuppt (und dessen Ermittlungsmethoden versucht zu kopieren, wozu seine Fantasie allerdings nicht ausreicht). Nein, hier geht es, neben der Darstellung von Full Frontal Nudity in einem Maße, wie ich es in amerikanischen Nicht-HC-Filmen nicht für möglich gehalten hätte, einzig und alleine um Eines: Ums Vögeln. Das läuft dann so ab, dass Brad vor dem Computer hockt, eine Liste mit seinen unzähligen Verhältnissen durchläuft, und bei vielen Namen dann Erinnerungen hochkommen. Beth, die sich im Juryraum von O.J. Simpson ausgezogen hat. Sasha, die beobachtet werden wollte und selber beobachten will. Molly, die es erst nach einem Tennismatch besorgt haben will. Wobei, mit Molly kommen wir schon dahin, dass Brad dem Inspektor erzählt was die Damen so alle von ihm wollten. Julie, die erst ein Abendessen und dann den Typen verspeisen will. Eine Frau namens Stranger, die keine Namen und keine Details austauschen will, und es mit Brad in der Natur treibt. Taylor, die sich vor ihm auszieht, und keiner merkt, dass im Hintergrund noch jemand zuschaut. Und natürlich Desire, deren Gesicht Brad nie gesehen hat, und die die einzige ist, von der er mehr haben möchte. Desire wiederum steht bedingungslos auf Brad, und damit hätte sie, genauso wie Stranger, ein Motiv. Die Geschichte der virtuellen Desire erzählt Brad seiner Schwägerin Wendy, während diese nackt im Pool badet … Noch Fragen zur Handlung?
Keine Frage, klingt gut. Kann man dann also viel Atmosphäre erwarten? Nun ja, leider ist das alles relativ steril gefilmt. Die ganze Atmosphäre wirkt künstlich und hohl, was den sexy Damen und der hervorragend gefilmten Action leider etwas den Drive nimmt, genauso wie die dümmliche Library-Muzak, die meistenteils im Hintergrund dudelt. Nur zu den Stripteases wird die Mucke mal fetziger, was dann die Szenerie meistens auch recht schnell aufwertet. Und da es mehrere Strips hat, die auch teilweise recht sexy sind, fällt die Mistmucke im Rest des Films nur umso mehr auf.
Also ein Softcore-Filmchen auf den, zur der damaligen Zeit bereits reichlich ausgetretenen, Spuren von BASIS INSTINCT? Nicht ganz, denn interessanterweise kommt der fehlende Drive dann durch die, lange Zeit vernachlässigte, Krimihandlung irgendwann dazu, und die letzten 20 Minuten sind, vom Spannungselement her, gar nicht ohne. Die Auflösung mag nicht überraschend sein, aber sie ist gut gemacht, und zu guter Letzt vermeidet VIRTUAL DESIRE vor allem einen Lieblingsfehler neuerer amerikanischer Filme: Er ist zu Ende wenn er zu Ende ist, und nicht 2 Minuten später! Großer Pluspunkt!!
Somit ist der Film sicher kein Anwärter für den anspruchsvollsten Film des Jahres 1995, aber einem Antonioni kann Wynorski auf jeden Fall das Wasser reichen: Ich bin über die gesamte Laufzeit wach geblieben, ich war immer mit voller Aufmerksamkeit dabei, ich hatte Spaß, ich will mehr von diesem Regisseur sehen, und dies möglichst bald … Können Filme von Antonioni alle diese Bedingungen erfüllen? Ich behaupte nein …
6/10