Originaltitel: Death Scenes
Produktionsland: USA 1989
Regie: Nick Bougas
Darsteller: Anton Szandor LaVey und zahllose bemitleidenswerte Opfer von Mord und Totschlag
Eine 1989er Shockumentary, größtenteils zusammengesetzt aus Tatort-Photographien von Los Angeles' Homicide Departement der 20er, 30er und 40er, und kuratiert von dem Gründer der „Church of Satan“, Anton Szandor LaVey. Wie werde ich wohl auf die Möglichkeit, mir dieses Machwerk aus den nebulöseren Nischen der klandestinen Filmgeschichte anzuschauen, reagiert haben…?
Es sei „a road map featuring the many avenues by which we encounter death . . . a brutally graphic collection of horrid indiscretions, a true Necronomicon”, was nun auf uns zukommen würde, versichert LaVey, stilecht angetan mit Zylinder und Dracula-Cape, bevor er sowohl auf seine eigene Erfahrung als Polizeiphotograph im San Francisco der 40er Jahre hinweist als auch sein Publikum mit einer genre-obligatorischen rhetorische Frage konfrontiert: „What mysterious force draws us to such a dark, challenging subject? That is a question that you, the viewer, must ask yourself, for you have chosen to join me in this universal participatory ritual, this tour of relentless human folly.” Zumindest ich bin achtzig Minuten später, was das betrifft, nicht wirklich schlauer.
Im Prinzip kann man DEATH SCENES in drei Großsegmente unterteilen. Die erste Etappe unserer Reise führt mitten hinein in einen Malstrom aus Bildern, die man vielleicht am besten als etwas heftigere Variationen der Tatort-Photographien bezeichnen könnte, wie sie der New Yorker Boulevardpresse-Photograph Weegee in den 30ern und 40ern geschossen hat: Maschinengewehr-Morde, verübt von der Mafia; ein Polizist, dem derart unvermittelt die Kehle durchschnitten worden zu sein scheint, dass ihm noch immer die Hand, auf der Suche nach der Waffe, in der Hosentasche und die Zigarette zwischen den Lippen steckt; Körper, die in Kofferräumen gefunden wurden, die weggeworfen wie Müll in zwielichtigen Hintergassen liegen, die zu Tode geprügelt, verbrannt, ertränkt worden sind. Als seien sie selbst Salven eines MG werden diese Bilder atemlos abgefeuert, wozu LaVey mit trockenem Humor Namen und Fakten herunterrasselt, als würde er durch die Spalten besonders morbider Yellow-Press-Erzeugnisse hecheln. Herausgehauen werden von ihm beispielweise solche Bonmots wie, dass ein Mann, der einen anderen wegen etwas Kleingeld und seiner Taschenuhr ermordet habe, nun seine Zeit in St. Quentin totschlagen würde, oder dass die Beziehung eines Paares komplett „washed-up“ gewesen sei, denn dessen männlicher Teil habe den Leichnam des weiblichen, nach seiner Ermordung, vor einem Waschsalon entsorgt.
Das zweite Segment von DEATH SCENES wirkt demgegenüber wie eine Illustration der schauerlichen Anekdoten, die Kenneth Anger in HOLLYWOOD BABYLON erzählt: Filmstars des klassischen Hollywoods, die an Drogen sterben, die mit ihren Autos verunglückt sind, die sich das Leben genommen haben, oder denen sonst irgendwelche Dinge widerfahren, die man seinem schlimmsten Feind nicht wünscht. Hätte DEATH SCENES mit den Schilderungen der Todesumstände von Personen wie Marilyn Monroe oder James Dean geendet, hätte ich ihn guten Gewissens als einen der eher konsumierbaren, „anständigen“, „seriösen“ Vertreter seiner spezifischen Filmgattung bewertet. Diese Einschätzung hätte natürlich vor allem mit dem Medium zu tun gehabt, aus dem DEATH SCENES seine Schockbilder rekrutiert: Photographien sind stillgelegte Zeit, hätte ich mit Roland Barthes argumentiert, und sie tragen allein durch ihre Starrheit den Tod zwar immanent in sich, selbst wenn sie ihn gar nicht explizit illustrieren, aber zumindest mich affizieren sie zumeist nicht ansatzweise so stark wie Bewegtbilder – zumal es äußerst schwerfällt, sein individuelles Punctum im Sinne Barthes‘ zu finden, wenn die einzelnen Bilder an einem vorbeirasen wie in der Schnellzug-Montage vorliegenden Films.
Im dritten und letzten Abschnitt fährt DEATH SCENES dann aber doch noch visuelle Gräuel auf, wie sie in keinem Neo-Mondo vom Schlage eines TRACES OF DEATH oder FACES OF GORE unangebracht wären: Aufgedunsene, aufgeplatzte Kadaver, denen die Eingeweide hervorquellen; unidentifizierbare Masken, die einmal menschliche Gesichter gewesen sein sollen; die Überreste von Kindern, die von wilden Wölfen angefallen worden sind oder Opfer sexueller Übergriffe wurden. Rhetorische Frage: Will das wirklich irgendwer en detail sehen? Nach dieser Parade an Transgressionen schließt (auch das ein gängiges Stilmittel: Man denke daran, wie häufig italienische Mondo-Filme mit Geburtsszenen enden, oder an das vergleichsweise versöhnliche Finale von FACES OF DEATH) LaVey auf einer lebensbejahenden, pseudo-positiven Note, die natürlich vorrangig dazu dient, die vorherigen Tabubrüche zu legitimieren und gleichsam abzufedern: „Ladies and Gentlemen, what, if anything, is to be gained by reviewing this grim series of images? Do we find further proof that crime does not pay, or a greater realization? Only through the bold confrontation with man and his mortality can we fully comprehend the importance of living life to its fullest, to pursue in true fashion the admirable goal of life with honor, death with dignity.”
DEATH SCENES ist, wenn schon kein empfehlenswerter Streifen, allerdings, meiner Meinung nach, filmhistorisch nicht nur deshalb interessant, weil der Film fast ausschließlich aus Photographien kompiliert wurde – (nur selten gibt es dann doch die eine oder andere Bewegtbildszene, bspw. aus Spielfilmen der portraitierten Hollywood-Stars; ansonsten könnte man durchaus vom LA JETÉE des Mondo-Kinos sprechen) -, sondern weil er gewissermaßen auch ein Bindeglied darstellt zwischen den Mondos und Shockumentaries der alten Garde und dem, was Mikita Brottman, wenn auch relativ unpräzise, in ihrem Buch zu "Offensive Films" als „Neo-Mondos“ klassifiziert. Jeweils drei Hauptmerkmale koppelt DEATH SCENES dabei an die Genre-Klassiker, und drei Hauptmerkmale separiert Nick Bougas‘ Film wiederum von diesen:
1. Schon beinahe manisch ist DEATH SCENES darum bemüht, seinen Bildern einen Kontext, eine Geschichte anzudichten. Ob all die Räuberpistolen, Ehedramen, kuriosen Todesumstände nun wirklich den Tatsachen entsprechen, oder ob sie sich LaVey respektive Nick Bougas nicht aus den Fingern gesaugt haben, kann ich nicht beurteilen, da wir weder konkret erfahren, wie LaVey überhaupt in den Besitz all dieser photographischen Abbildungen gelangt ist, noch wer sie eigentlich geschossen hat, und zu welchem Zweck. Selbst wenn es sich einzig um elaborierte Lügengespinste handeln sollte, was LaVey uns im Sekundentakt auftischt, es ändert nichts daran, dass DEATH SCENES fortwährend einen narrativen Kontext evoziert, der die einzelnen Leichname, so grausig sie auch zugerichtet sein mögen, explizit individualisiert – und das im Kontrast zu Machwerken wie TRACES OF DEATH oder FACES OF GORE, die sich als stumpfe Aufeinanderfolge von Schockbildern verstehen, deren (Selbst-)Zweck allein in ihrer Schockhaftigkeit begründet liegt, und wo der einzelne Mensch einfach nur Material ist, mit dem gearbeitet wird, um den Zuschauer sein Abendessen ein zweites Mal verzehren zu lassen.
2. LaVey mag sich, wie erwähnt, des einen oder anderen schwarzhumorigen Spaßes nicht enthalten, nichtdestotrotz trennen seinen ironischen, mit zahlreichen Wortspielereien gespickten Kommentar wahre Welten von den menschenverachtenden Bemerkungen, mit denen man in Shockumentaries der 90er Jahre gemeinhin konfrontiert wird. (Ich denke konkret an die pubertären, selbst ein Mindestmaß an Anstand vermissenlassenden Auslassungen eines gewissen Dr. Vincent Van Gore in der FACES-OF-GORE Reihe sowie an den sogenannten „mullet meter“ in der Autopsie-Sequenz von TERRORIST KILLERS & MIDDLE-EAST WACKOS, wo, während ein Leichnam seziert wird, die anwesenden Studenten anhand ihrer Vokuhila-Frisuren bewertet werden.)
3. Nicht zuletzt das Material, auf das sich DEATH SCENES größtenteils beruft, unterscheidet den Film maßgeblich von den Amateur-Video-Aufnahmen, mit denen FACES OF GORE und Konsorten sich schmücken. (Wirkt, könnte man sich fragen, DEATH SCENES allein deshalb weniger obszön, weniger exploitativ, vielleicht sogar nostalgischer, wehmütiger, weil seine Bilder aus gefrorener Zeit bestehen, und nicht aus einer, die, trotz ihrer Einkapselung, noch immer fähig ist, sich von der Stelle zu bewegen? Und kann man diese Beobachtung nicht generell ausweiten auf den Paragone-Wettstreit zwischen Photographie und Film?)
Dennoch, Bougas‘ Film löst sich auch erheblich von den Genre-Traditionen, nämlich 4. durch seine rapide Montage, die mir keinen Moment der Besinnung, keine Verschnaufpause, keinen noch so kleinen Winkel zur Reflexion und Rezeption des Gesehenen gönnt. Photo folgt auf Photo, Story folgt auf Story, so, als würde man in einem ohnmächtigen Rausch durch LaVeys Sammlung brausen. Während klassische Mondos von Jacopetti/Prosperi, den Castiglioni-Brüdern, Climati/Morra, oder sogar noch FACES OF DEATH, ihre Segmente sorgfältig aufeinander abstimmten, sprich, ihrem Publikum ein Wechselbad der Gefühle präsentierten, eine Dusche, die mal heiß, mal kalt auf es einprasselt, eher abscheuliche Sequenzen mit eher trashigen paarten, eine, in der die aufgestaute Spannung sich löst, mit einer, in der sich sämtliche Muskeln spannen, und der Schnitt demnach (mehr oder minder) wohlüberlegt, kunstvoll, kontrapunktisch ausfallen musste, dominiert in DEATH SCENES ein grobschlächtiges Aneinanderflicken, das einen roten Faden, eine ästhetische Grundlinie weitgehend vermissen lässt. (Genau die Monotonie, die TRACES OF DEATH & Co. zusätzlich zu dem ihnen immanenten Inhumanismus für mich nahezu unkonsumierbar machen.)
5. Auch die spezifische Produktionsweise des Films setzt konsequent fort, was sich im Mondo-Kino bereits seit den 70ern, spätestens ab den 80ern abzeichnet: Während Jacopetti/Prosperi, Climati/Morra und die Castiglions noch selbst die Welt bereisten, greift schon FACES OF DEATH in großem Stil auf Archivfunde zurück. Für DEATH SCENES hat sich Regisseur Bougas letztlich überhaupt nicht aus den eigenen vier Wänden hinausbewegen müssen – (es sei denn, um die paar Aufnahmen von LaVey vor einer nichtssagenden Mauer einzufangen). Der Trend ist klar: Für FACES OF GORE oder TRACES OF DEATH sucht man dann gleich per Annonce in einschlägigen Magazinen nach möglichst subversivem Bildmaterial, und die Produktionskosten erschöpfen sich im Preis für einen zweiten Video-Recorder zum Überspielen. (Oder, im Falle des vorliegenden Films, in der Gage für LaVey.)
6. Paradigmatisch ist nicht zuletzt, dass DEATH SCENES unter gleich mehreren unterschiedlichen Titeln firmiert. Offenbar wurde der Film sowohl als DEATH SCENES wie auch in Gestalt seines eigenen Sequels als DEATH SCENES 2 veröffentlicht. Außerdem hat man ihn in FACES OF DEATH VII umgetauft, und, um dem Kopfkratzen eine Krone aufzusetzen, fast vollständig in GESICHTER DES TODES VII integriert. (Die Konfusion geht tatsächlich so weit, dass die mir vorliegende Fassung des Films erhebliche Differenzen zu den beiden einzigen halbwegs wissenschaftlichen Berichten aufweist, die ich über ihn gefunden habe: Sowohl Mikita Brottman in ihrem Band „Offensive Films“ wie auch David Kerekes und David Slater in ihrem Grundlagenwerk „Killing for Culture“ sprechen davon, der Film sei untermalt von einer Orgelmusik, die klingen würde wie auf der Kirmes, und aus der Feder LaVeys höchstpersönlich stammen solle. In meiner Fassung ist ein gewisser Richard Gibson als Musikant aufgeführt, und was ich höre, das ist zudem keine Zirkusorgel, sondern, unter anderem, Versatzstücke aus Bobby Beausoleils Soundtrack für Kenneth Angers LUCIFER RISING sowie einige Takte aus dem GNOMUS von Modest Mussorgsky.)
Was ich indes nach einer kurzen Recherche mit Sicherheit weiß: Ein Großteil der in DEATH SCENES verwendeten Photographien stammt aus dem Privatfundus eines „Homicide Detectives“ aus Los Angeles, der die Aufnahmen von den 20ern bis in die 50ern gehortet hat, und nach dessen Tod sie durch den Verkauf der Erben irgendwie in die Hände Nick Bougas‘ gelangt sein sollen – so zumindest lautet die Geschichte in dem seriös wirkenden Bildband DEATH SCENES: A HOMICIDE DETECTIVE’S SCRAPBOOK, der 1996 bei Feral House erscheint, und uns eine repräsentative Auswahl der fraglichen Bilder vor Augen führt. Unser namenloser Mordermittler hat seine Devotionaliensammlung indes nicht nur mit kurzen Notizen und Anmerkungen versehen, (die, wie meine Stichproben zeigen, durchaus mit dem übereinstimmen, was LaVey in der Filmfassung an Kontext liefert), sondern in bester Mondo-Manier auch manch andere Deviation in den Kanon aufgenommen: Es dominieren zwar gewaltsame Tode und Tote, doch ebenso kann man im Bildband DEATH SCENES Hermaphroditen, von schwerer Krankheit gezeichnete Menschen oder auch einmal vollkommen random süße Kätzchen in dem Bildgewitter aus Abscheulichkeiten begegnen. Eine Art Mondo-Film als Photoband, indeed!
Wozu es keine großangelegte Recherche bedarf, sondern einfach nur einen starken Magen: Nach DEATH SCENES hat Nick Bougas 1992 respektive 1993 noch zwei Sequels vorgelegt, die auf die Namen DEATH SCENES 2: MANSON sowie DEATH SCENES 3: UNCENSORED SCENES OF DEATH hören. Ersteres ist eine diachron angelegte Sammlung von vor allem Bewegtbildern, die uns mitnehmen auf eine Achterbahnfahrt medial vermittelter Gräuel des 20. Jahrhunderts, beginnend mit den Schützengräben des Ersten Weltkriegs und endend mit Anfang der 90er aktuellen Aufnahmen von Rassenunruhen, Massenpaniken in Fußballstadion und Drogenbandengefechten. Die eintönige Abfolge möglichst expliziter Einblicke in wohlbehütete Tabus wird nur noch von DEATH SCENES 3 übertroffen, ein Machwerk, das nun wirklich keinen Steinwurf mehr von TRACES OF DEATH trennt: Nicht nur verbrät dieses wie ein Kuriositätenarchiv aufgezogene Videotape einen halbstündigen Autopsie-Lehrfilm der U.S. Army aus den 60ern sowie Szenen aus Driver-Education-Filmen, sondern hat mich allerspätestens in seinem Segment „Abberation of Birth“, in dem einem, unterlegt mit furchtbarer Musik, Photos und Videoaufnahmen von missgebildeten Säuglingen in Endlosschleife vorgesetzt werden, als Rezipient verloren. Den von LaVey in Teil Eins versprochenen „death with dignity“ da irgendwo zu entdecken, ist für mich, ehrlich gesagt, ein Ding der Unmöglichkeit.