Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

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Moderator: jogiwan

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Salvatore Baccaro
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Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Liebes Forum,

gerne würde ich mich mal wieder mit einer eher speziellen Frage an euch wenden:

Ich habe das Ganze als Spätgeborener ja nicht mehr mitbekommen, doch ist es ja ein gerne erzählter Topos, dass in den 80ern vor allem männliche Jugendliche sich im Kollektiv mit extremen Filmen, vorzugsweise auf VHS, sozialisiert haben. Wenn man durch den Faden zu FACES OF DEATH in diesen heiligen Hallen scrollt, betrafen solche Veranstaltungen, die ja offenbar den Charakter von Mutproben oder, wenn man so will, regelrechten Initiationsriten besaßen, auch den einen oder anderen Delirianer. Mir geht es genau um dieses Phänomen: Sich als junger Mensch innerhalb einer Gruppe mit abjekten Dingen konfrontieren, um unter Beweis zu stellen, dass man kein Milchbübchen mehr ist - wobei es mir hier primär nicht unbedingt um mehr oder minder klassische Erzählfilme eines D'Amato oder Fulci geht, sondern um Werke wie eben FACES OF DEATH, die damit werben, dass man dort "the real thing" um die Augen gehauen bekommt.

Sind euch denn Schilderungen solcher Sichtungsrituale bekannt? Ich könnte mir vorstellen, dass z.B. Leute wie Jörg Buttgereit (in seiner druckfrischen Autobiographie eventuell?) dergleichen erwähnen. Möglicherweise hat auch jemand wie Prof. Stiglegger irgendwo einmal ein entsprechendes Anekdötchen gedroppt? Oder kennt ihr Romane, die bspw. in den 80ern spielen und deren Protagonisten in solche Situationen geraten? Ganz dunkel dämmert mir, dass ich mal in einer Kurzgeschichte (?) des FIGHT-CLUB-Autors Chuck Palahniuk etwas in die Richtung las: Ein paar Jugendliche versammeln sich vor dem Fernseher, während die Eltern außer Haus sind, und geben sich eine Überdosis Mondo-Filme. Falls jemand von euch sogar eine Studie zu dem Thema kennen sollte - eine empirische Umfrage in irgendeiner alten Film- oder Medienzeitschrift, eine Interviewreihe mit betroffenen Kids, oder etwas Ähnliches: man weiß ja nie! -, gerne immer her damit. Zeit- und Augenzeugenberichte aus erster Hand sind natürlich auch willkommen... ;-)

Liebe Grüße,
euer Shockumentary-Salvatore!
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karlAbundzu
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Re: Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von karlAbundzu »

Spontan fällt mir ein, in einer Schlingensief Doku glaube ich, Interviews mit einer Gruppe gesehen zu haben, bei der das deutsche Kettensägenmassaker eine Mutprobe mit Initiationscharakter war.
Bei Buttgereit und seinen Leuten war es eher die Suche nach abseitigem, verpönten, andersartigen.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Dick Cockboner
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Re: Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von Dick Cockboner »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Fr 20. Okt 2023, 16:18 Sind euch denn Schilderungen solcher Sichtungsrituale bekannt?
Nö!
Salvatore Baccaro hat geschrieben: Fr 20. Okt 2023, 16:18 Wenn man durch den Faden zu FACES OF DEATH in diesen heiligen Hallen scrollt, betrafen solche Veranstaltungen, die ja offenbar den Charakter von Mutproben oder, wenn man so will, regelrechten Initiationsriten besaßen, auch den einen oder anderen Delirianer. Mir geht es genau um dieses Phänomen: Sich als junger Mensch innerhalb einer Gruppe mit abjekten Dingen konfrontieren, um unter Beweis zu stellen, dass man kein Milchbübchen mehr ist...
Als Mutprobe habe ich das nie empfunden.
Als Initiationsritus schon eher, aber es ist wie das erste Bier, der erste Schnaps, der erste Joint, der erste Fick, die erste Vorsorgeuntersuchung beim Urologen, die erste Ganz-ganz wichtige Prüfung, das erste mal konfrontativen Kontakt mit der Polizei ...&&&
Jedes mal fragt man sich: Wie bitte, das isses schon gewesen, das war alles??? :wink:
Ernüchterung und eine gewisse Enttäuschung machen sich breit.
Es gilt: Die Imagination pickeliger, Neuland betretender Typen deckt sich in keinen (oder zumindest nur in ganz wenigen) Fällen mit der Realität!
:D
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jogiwan
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Re: Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von jogiwan »

Das war ja alles auch noch zu einer völlig anderen Zeit ohne Computer, Handy, Internet so Ende der Achtziger bzw. Anfang der Neunziger, wo es durchaus üblich war, dass man sich mit Freunden und Schulkollegen für gemeinsame Filmnachmittage irgendwo bei jemanden zuhause trifft und sich auch mal wildere Sachen anschaut, wenn die jeweiligen Eltern irgendwo unterwegs waren . Runter laden gabs nicht, selber kaufen keine Option und so blieb auch für abseitige Filme ohnehin nur der Weg zur Videothek, wo ich zum Glück alles bekam, weil meine liebe Nachbarin hinterm Tresen stand und es mit Alterskontrollen nicht so genau nahm. "Gesichter des Todes" auf VHS haben wir in einer bunt gemischten Runde mit sechs bis acht Leute geschaut, die alle so um die 14 - 16 Jahre waren. Das war eher mehr aus einem generellen Interesse danach, weil der Film durch Mundpropaganda (so wie "Tanz der Teufel") am Schulhof gehypt wurde. So genau wurde das als Mutprobe aber nicht genommen und manche sind beim Affen raus, andere beim elektrischen Stuhl und irgendwie war das in der richtigen Runde auch alles nicht so wild, wie man es sich vielleicht im Vorfeld ausgemalt hätte. Ich muss aber auch ehrlich gestehen, dass wir seinerzeit davon ausgegangen sind, dass das Gezeigte real ist - so viel Medienerfahrung hatten wir damals ja allesamt nicht.
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Arkadin
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Re: Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von Arkadin »

Ich schrieb dazu 2012 im entsprechenden Faden:

War bei uns genauso. Das war auch der erste Film, den ich mit 18 aus der Videothek ausgeliehen habe. Einfach, weil man es jetzt konnte (und sich dabei "böse" fühlen konnte). Wir haben den dann in einem Kreis von vier oder fünf Leute gesehen, die alle auf dem "Härter, schneller, weiter"-Trip waren. Mit denen habe ich dann später noch einen Teil aus der Reihe gesehen und so einen Afrika-Film, dessen Titel ich nicht mehr weiß. Irgendwas mit "Faces..". Dann war aber dieser Abschnitt auch relativ schnell vorbei und man musste das nicht mehr gucken, um den anderen zu beweisen, wie hart man war.

Bei "Gesichter.." ist mir übrigens etwas passiert, was ich so nicht erwartet hatte und was mir im Nachhinein viel über menschliche Abwehreaktionen beigebracht hat. Und zwar gibt es ja in "Gesichter" die Szene mit dem Äffchen, der von Restaurantbesuchern totgeschlagen wird. Nun mag ich Tiere und finde Äffchen auch sehr niedlich. Die Szene war für mich fast unmöglich anzusehen. Noch nie zuvor hatte ich so eine Abscheu und so einen Hass empfunden. Die Gefühle waren so stark, dass ich völlig unkontrolliert zu Lachen begann. Ich habe mich gar nicht mehr eingekriegt und wer schon mal einen richtigen Lach-Flash hatte, weiß, was das bedeutet. Wirklich interessant, was das Gehirn da für Abwehrmechanismen entwickelt.


Trifft Deinen Frage also ziemlich gut. Wir haben damals sehr, sehr häufig in größerer Runde Filme geguckt. Gerne auch mal 3 Stück hintereinander. Da waren dann natürlich viele Horrorfilme dabei. Das war aber nie "Mutprobe", sondern schon eher Neugier. Und natürlich wollte man sich "hart" fühlen. Das ist vor allem bei den Mondos für mich im Nachhinein absolut klar. Man wollte sich halt gegenseitig zeigen, dass man sich die härtesten Sachen anguckt, die es so gab. Ich denke, das hatte auch viel damit zu tun, dass man mit 18-20 einerseits erwachsen, andererseits aber noch Zuhause wohnendes "Kind" war. Und sich auch selbst gegenüber beweisen musste, was für ein harter Kerl man schon war. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das in weiblichen Cliquen ähnlich war. Wirklich sehen wollte man das eigentlich nicht, damit prahlen und sich wissend mit den Schulkameraden drüber unterhalten aber schon. Ich erinnere mich sehr peinlich berührt auch, dass wir den weiblichen Klassenkameradinnen (besonders denen, die man interessant fand) natürlich von den Filmen erzählt hat und - hahahaha - wie lustig man das doch findet ("Da poppen voll die Augen raus *gröhl*). Heute verstehe ich sehr gut, dass das kein besonders erfolgversprechendes Rezept war, dadurch vor den Angebeteten als cooler, harter und damit super interessanter und attraktiver Typ dazustehen.

Man kann Deine Frage nach Initiationsritus auch auf Erwachsenenfilme erweitern. Ich weiß nicht, wie das bei anderen war, aber ich sah meinen tatsächlich in einer Runde mit 5-6 Klassenkameraden, die alle mit hochrotem Kopf dasaßen und ständig recht verkrampft über das Gesehene Witze machten. Das hatte tatsächlich, wenn ich drüber nachdenke, die Form eines Initiationsritus. Danach war alle etwas "weiter".
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Reinifilm
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Re: Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von Reinifilm »

Ich stelle mal wieder fest, dass bei uns die Initiationsriten mit ganz anderen Filmen stattfanden. :kicher:
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Blap
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Re: Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von Blap »

Darüber muss ich nachdenken ...

Zunächst erinnere ich mich an regen Tausch von Gewaltvideos auf dem Schulhof, dieses Treiben fand in den frühen Achtzigern statt. Mutproben waren die anschließenden Sichtungen vermutlich schon, weil man durchaus aufgeregt war, wenn ungesehner Stoff Worte wie "Zombies", "Kannibalen" oder andere Schröcklichkeiten im Titel trug. Es wurde auch gemeinsam geschaut, wobei niemals einer der Beteiligten zugegeben hätte, dass ihm der Arsch auf Grundeis ging. Ich habe das geschickt gelöst, wenn z. B. "Gesichter des Todes" auf dem Spielplan stand, hatte ich keine Zeit oder musste dringend weg. :mrgreen:

Ansonsten waren es vor allem Neugier und Liebe zum Film, die mich ständig ins Kino und vor die Glotze zwangen. Daran hat sich irgendwie kaum etwas geändert. Dabei ging es nie darum, Teil einer Gruppe zu sein/zu werden. Eher darum, nicht Teil der breiten "Disney-Masse" zu sein. 😌☝🏽
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Arkadin
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Re: Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von Arkadin »

Reinifilm hat geschrieben: Sa 21. Okt 2023, 11:21 Ich stelle mal wieder fest, dass bei uns die Initiationsriten mit ganz anderen Filmen stattfanden. :kicher:
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Re: Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von Reinifilm »

Arkadin hat geschrieben: Sa 21. Okt 2023, 23:00
Reinifilm hat geschrieben: Sa 21. Okt 2023, 11:21 Ich stelle mal wieder fest, dass bei uns die Initiationsriten mit ganz anderen Filmen stattfanden. :kicher:
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Der kam kurz danach. :kicher:
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fritzcarraldo
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Re: Kollektivrezeption transgressiver Filme als Mutproben und Initiationsriten

Beitrag von fritzcarraldo »

Bei uns gab es so etwas wie gemeinsames Schauen besagter Filme nicht, aber sie waren natürlich trotzdem präsent. Es wurde darüber gesprochen, dass es sie gibt, Mythen wurden geschaffen, sie wurden irgendwie beschafft usw., die berühmte "Liste bestimmter Filme" sollte abgegrast werden.
Und dann wurde alleine geschaut. Vielleicht führte dies aber bei mir dazu, dass mir viele Filme damals einfach nichts gegeben haben. Es fand kein weiterer Austausch statt und für einiges war ich irgendwie noch nicht bereit. "Faces" als Paradebeispiel interessiert mich z.B. überhaupt nicht, Fulci und Co. habe ich erst später bei 35mm - Treffen für mich entdeckt. Ich kannte sie natürlich, aber ich kann nicht sagen, dass sie mich vorher sehr beeindruckt hätten.
"Das ist nicht möglich!"
"Aber notwendig!"

(Interstellar)

"J&B straight and a Corona!"
(Patrick Bateman, American Psycho)

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